3. Dez. 2022
Aus dem Tagebuch eines Kaisers Lesezeit: Kommt drauf an... Bei einigen genügen 5 min, andere brauchen ein paar Leben dafür. Andere müssen erst lesen lernen. Was fällt euch überhaupt ein, Unser Tagebuch zu lesen? So, Scherz beiseite: Gestern Mittag waren Majestät ja zu einer Audienz mit Bruderherzchen eingeladen. Bro hatte das Restaurant ausgesucht. Wie üblich: Schweineteuer, voll hipp, bumsvoll und äusserst geizig, was die Rationen anbelangte, dieser Schuppen. Aber Unserem Brüderchen gefällt das ja. Halb verhungert dann wieder zu Hause haben Wir an Unserem Online-Shop gearbeitet, und zwischendurch eher aus Versehen ein wenig der Eigenmedikamentation gefrönt, vielleicht auch, um all der überfälligen Korrespondenzen und Bergen von Pendenzen Herr und Meister zu werden. Wer weiss... Max weiss, aber der sagt ja nix. Natürlich verloren sich Majestät irgendwann in den unglaublichen Weiten der kapitalistischen Ramschfülle aus dem fernen Orient, und ehe Wir Uns versahen, graute schon der Morgen. "Wichtiges Bewerbungsgespräch!" fiel es Uns Gottlobunddank ein. Eine halbe Stunde vorher, aber nur, weil Uns Unser Kalender eine Pushnachricht schickte. Nur: Wo?
Ein Blick in den präjulianischen Terminkalender besagte Uns, dass Wir Uns ja als Meister der schönen Künste an einer Schule beworben hatten, die gnädigerweise bequem zu Fuss erreichbar wäre. Folglich mänderten Wir, die Vielen, Richtung Sündenpfuhl, wo neben dem Dom diese Schule steht. In den Gängen roch es nach Frühstück - Majestäts Magen erinnerten sich sehnsüchtig an Seine letzten ausreichenden Mengen an fester Nahrung, die wohl ja dann vorgestern gewesen sein musste, denn gestern gab es ja nur solche Yuppie-Winzigkeiten. Sahen, obwohl für Unsere Verhältnisse also sehr edel gefrackt, mit neuem Gillet, Hemd in feinstem ungebügelten Stöffchen und so einem tuntigen Künstlerseidenschal ums Hälschen, - so was mögen doch diese fehlgeleiteten Althippies, dachten Wir Uns - wahrscheinlich ziemlich verdächtig aus, wie Wir Uns so gemächlich die Treppen in diesem Schulhaus hochquälten, denn Wir wurden 4x angesprochen, was Wir hier zu suchen hätten. "Den Führer!" verkniffen Wir uns. Es war ja sowieso eine Sie, diese Schulleiter. Man eskortierte Uns bis vor das Büro und sagte Uns, sie sei leider noch nicht da, Wir sollten warten. Da standen Wir nun, in Unserer Kunstlederjacke, mit stumpfsinnigen Stierenblick und Bürstenschnitt, und betrachteten das Gemälde im Gang: zwei Flügel und ein Heiligenschein. Es war wie alles fein säuberlich beschriftet. Da konnten sich ausdrücklich nur «Schülerinnen» als Engelchen blitzen lassen, oder sich selbst ablichten, weil ja bald wieder Weihnachten sei. Nein, da stand nicht SchülerInnen, auch kein Rektalsternchen und kein Glottal, nichts. Heilige Emanzenscheisse, fuhr es Uns durch den Kopf, jetzt würden Wir doch erst recht auch ein Selbstportrait dort machen. Mit dem Tuntenschal käme das sicher herrrrrrvorragend. Doch da fiel es Uns wie Schuppen von den Haaren. Wir hatten bislang keinen einzigen Jungen in diesem Gebäude gesehen, nur Mädchen und Weibesvolk. Au weia, wo waren Wir hier wieder gelandet... Da Unmännliche ja häufig eine andere Realitätswahrnehmung haben als Wir und Flunkern zur Sportart gekürt haben, klingelten Wir dann doch noch an der Türe zum Schulleiterinnenbüro, obwohl 2 gesagt hatten, sie sei nicht da. Sie war da. Fräulein Rottenmeier. Als erstes beschied sie Uns, das sei kein Bewerbungsgespräch, sie wolle Uns einfach einmal kennenlernen. "Das wollen sie alle", dachte es in Uns. Das richtige Gespräch finde dann mit Schulrätinnen und weiss der Geier noch was statt. Sie erzählte Uns, dass Wir Uns in einer katholischen Mädchensekundarschule befänden. Nach Essen röche es, weil die ganze Schule nach dem Rorategottesdienst gefrühstückt habe. 'Solche Anlässe würden Seine Majestät doch sicher auch alle mitmachen, oder?', war die erste Fangfrage. Aber selbstverständlich!
Die Hexe wusste bereits Bescheid, dass Wir aus der Kirche ausgetreten waren. "Das karge Brot als 'Künzler' reichte leider nicht aus, um die Kirchensteuer weiter zu bezahlen." - "Aber wenn Sie jetzt die Stelle hier kriegen würden, würden Sie wieder beitreten?" - " Aber sicher." - "Und auch wirklich an all den Veranstaltungen mitmachen? Wissen Sie, einmal im Jahr kommt zum Beispiel noch der Ehemaligenverein, alte Frauen, die eine Bratwurst möchten..." - "Aber fix."
Wir verschwiegen ihr, wahrscheinlich auch dank der unterschwelligen Kieferstarre, dass nach Unserem ersten Auftritt mit einer Schülerband im Dom, arrangiert durch einen zweilichtigen Pastoralassistenten, ein Gips-Röschen von der Ballustrade gefallen war, es hatte tatsächlich ein kleines Erdbeben gegeben, und eine Nebelkrähe dem Bischof persönlich ins Telefon gejammert habe, das sei nur, weil diese Jungen solche Teufelsmusik spielen würden...
Sorry, aber der Gitarrist konnte damals nur 2 Lieder, und eines war halt nun mal «Highway to Hell».
Wir sprachen nur das Nötigste mit Engelszungen, jedoch recht trockenem Munde, also fast mit ein wenig gespaltener Zunge. Medikamentös bedingt.
Dass Wir jeweils zum Abschluss des New Orleans Festivals an der Hammond mit anderen Besoffenen in der Leonardskriche gespielt und gesungen hatten, während die Leute teilweise mit Bierchen in der Hand mitgrölten und auf den Bänken tanzten, macht ihr doch ein wenig Eindruck, glauben Wir.
Zusammen mit dem Pfarrer, der ja auch vorher jeweils an jeder Ecke in der Stadt anstossen musste und jeweils neue Zwischentöne erfand, dermassen in «spirito sancti» aufgelöst.
Wir sagten der Schulleiter (Schulleiterin wäre ja ein Pleonasmus, oder?) bereitwillig und wahrscheinlich mit steinerner Miene alle Anlässe zu, sogar Skilager - aber das gibt jetzt Gottlobunddank 100% Lohn, auch, wenn man nur teilzeit arbeite.
Wir versprachen hoch und heilig, mit den Pubertiermädchen keine verrückte Kunstsachen zu machen, Unseren restlichen Beschäftigungen abzuschwören, um genügend Zeit für diese 18 Lektionen BG zu haben. Und für alle Anlässe der Schule, auch als Freiwilliger für den Mittagstisch. Sie meinte, vielleicht sei ein Mann bei 200 Girls ja vielleicht ganz gut. Lehrer habe es sehr wenig. 2-3. Aber eine Freundin von ihr könne eben ab Sommer, und sie sei dann wahrscheinlich schon erste Wahl, denn die habe auch schon diese Schule besucht, und wisse, wie der Hase läuft. Ja, die sind sicher schnell weggehoppelt, die Hasen, dachten Wir. Wären Wir ja auch, aber diese Empathielosigkeit und Gefühlskälte durch Eigenmedikamention liess Uns eiskalt bleiben. So sind sie doch alle, diese verhärmten Krähen: Eine hackt der anderen kein Auge aus und gemeinsam wird gegen die Herrlichkeit intrigiert. Wir lächtelten wohl aus Versehen, und ihre Äuglein funkelten wolllüstig. Ja, also einen Mann könnte sie sich doch gut vorstellen, widerholte sie träumerisch. Sie zeigte Uns, völlig unnützerweise, obwohl der Raum des Gestaltens und Waltens, Unser refugium in spe, von einer Klasse besetzt war, noch jede einzelne Schublade, wo die andere Zeichungslehrerin unterrichtete. Die war aber gerade nicht da, nur die Klasse. "Und hier hat es Papier, und hier farbiges Papier, hier haben sie Schmetterlinge gemalt..." Und es sei also ein Traumjob, nur Mädchen und nur BG, wenn man sie begeistern könne. Sie zeigte bewundernd auf aufgehängte Kunstwerke, - "hängt die Schweine alle auf!", durchfuhr es Uns - bei welchen eines dem anderen aufs Haar glich, denn sie hatten alle ein Bild von Monet gemalt und aufgehängt. Von Tomatensuppe oder Kleber wenigstens keine Spur. Ob Wir noch Fragen hätten? Wir lächelten abermals auf den Stockzähnen und schüttelten den Kopf. Sie werde sich sicher noch vor Weihnachten melden. Aber Wir hätten gute Chancen, bis zum Sommer. Dann würde eben wahrscheinlich ihre Freundin die Stelle bekommen. Filzlausinnen! Eben, wenn Wir Uns vorstellen könnten, wieder Kirchensteuer zu bezahlen und wieder beitreten, weil die Schule ja schon sozusagen von der Kirche getragen werde... "Aber mit Freuden." Man verabscheute sich voneinander und Wir torkelten danach halb belämmert in der wuselnden Stadt umher. Als Wir endlich daran denken konnten, dass Wir heimwärts mäandern sollten, überfiel Uns noch ein Glühweinstand an diesem Christkindmarkt, wo ein paar linken Zecken herumstanden ... Der Hippie-Vater des einen war Besitzer des Glühweinstandes, während sein Junge, auch so ein Freeman mit Rastas, Uns in Wiedersehensfreude nicht durchliess, nicht, ohne dass Wir ein paar Gläschen dieses widerlichen Glühweines probiert hatten. Aus diesen Reyclingplastikbechern, die 2 Fr. Depot kosten. Thema am Stehtischchen bei den Zecken war ja Fussball. Man zeigte sichtliche Freude am Abflug der Teutonier, von welchem Wir nach gar nichts mitbekommen hatten. Wahrscheinlich hatte die Mannschaft ihre Binden gefunden. "Die mit de Flügeli." Wissen Wir nicht. Was interessiert Uns schon linkischer Smalltalk ... Aber nein, nette Jungs sonst. Ehemalige Hausbesetzer. Aber dass genau die bei einem Weihnachtsmarkt über Fussball sprachen ...
Glückerweise erlöste Uns das Drogenerbähnchen, welches Wir wie immer ganz freundlich, aber bestimmt mit "Allle Billete bitte" betraten, worauf sich immer etwa die Hälfte putterrot auf den Weg zu einer Tür machte, um an der nächsten Haltestelle auszusteigen. Ohne die Uns entgegengestreckten Fahrscheine auch nur eines Blickes zu würdigen, stiegen Wir wie immer an der zweiten Haltestelle aus. Lieb, wenn sie Uns ihre Billette geben wollten, aber für diese Strecke ...
Und nun tippen Wir schon wieder. Ob Wir in der nächsten Zeit katholische Lehrerin, Chefredaktor, Starproducer, Musikjournalist, Bannerwerbung-Vertreiber, Sozialhilfeempfänger, Appenheller Vereinsschreiber, Lehrer für Grundschulmusik, konservativer Zureicher Grafiker bei einem "It-Label", vertiefter Lernbegleiter, Instrumentallehrer, Online-Shopper oder Mafiapate werden, steht derzeit in den Sternen, welche in St. Gallen immer noch wie diese stacheligen Bomben in Minesweeper aussehen, auch abgelöscht.
Wir können eigentlich machen, was Wir wollen: Es bleibt spannend. Also: Macht nix!
Zur Not suchen Wir sonst halt so eine Nikolausmütze aus dem Abfall und singen mit einer Pulle Rum als Guitar-Slider Jinglesells.
Wobei, kommt Uns gerade in den Sinn, dass Wir Uns ja auch auf Sylvester im Altenheim vorbereiten müssten. Die kennen Uns ja dort schon, waren begeistert. Und darum hat man Uns jetzt bereits eine Liederliste mit Wünschen des Perversionals und der Bewohner gebrieftaubt. 90 Lieder! In 2 Stunden. Das könnte noch eskalieren! Jemand hat sich "unterm Säufermond" gewünscht. Jemand "Griechischer Wein". Gerontologie. Da spiele es eh keine Rolle mehr, hatte die Chefin schon letztes Mal gemeint, auf die Liedtexte müssten Wir keine Rücksicht nehmen, auch nicht auf der Alterssuchtstation. "Schöner Gigolo" war sicher ein Wunsch der dementen Dame im Rollstuhl, die Uns letztes Mal lüstig ans Gesäss gefasst hat. "Geben Sie dem Mann am Klavier noch ein Bier..." Guter Wunsch. Es werde getanzt dann, von halb drei bis halb fünf, wenn Wir spielen würden, hatte die Chefin geschrieben. Das wird sicher eine Bomben-Stimmung! 90 Lieder in 2 Stunden, von welches keines tanzbar ist. Wie soll man sich das überhaupt vorstellen, Tanznachmittag, wenn die meisten nicht einmal stehen können? Egal, Wir machen Dienst nach Vorschrift. Und jetzt sollten Wir übrigens noch ein wenig Bündner Volksrockmusik produzieren, da sind Wir ja auch noch dran ... Ein wenig sinnieren Wir schon, ob Wir das als eventueller zukünftiger Meister der schönen Künste für halbe Klosterschülerinnen überhaupt noch dürfen, Rock- und Tanzmusik und so. Aber Gottlobunddank sind Wir ja Viele. Und nicht alle müssen allen Tanen ein leuchtend Vorbild sein, denn das ist ja so ein heroisch-patriarchalisches Unterdrückungsding des weissen Mannes. Es gäbe ja nur männliche Vorbilder, Helden, bemängeln ja die Woken. Heroen. Herrrrrrroen. Die haben wohl noch nie von der Heroin gehört! Gut, ist auch schon lange verboten, diese(s) Heroin. Können Wir wohl jetzt nichts dafür, oder? Kennen Wir auch nicht, Heroin. Wir kennen Hero. Steht auf diesen Dosen mit italienischen Fertiggerichten. Hat sogar Tina Turner besungen, dass Wir das nicht brauchen. Also heisst es heutzutage für Herrrrroen wie Unsereiner, nein, Unservieler: Nur nicht zuviel strahlen, sonst werden die braven Tanen am Ende auch noch so verstrahlt!
Ein paar von Uns sind deswegen wohlüberlegt schon früher keine Vor-, sondern ganz berechnend Nachbilder geworden, - um es allen recht zu machen. Bildnerisches Gestalten. Man muss Sein Wolk schliesslich formen. Indem Wir aus dem Rahmen fallen oder jeglichen sprengen, bilden Wir eigentlich Gestalten. Gestalten Wir Bildung? Wir leben jedes nur erdenkliche Leben auf jeden Fall vor. Und nach. Und ab. So leben Wir richtig auf, manchmal. Und das bildet natürlich schon...aus...ab...um...ein... Egal, die Pflicht ruft!
Derart sinnierend und mit erlauchtetsten Grüssen aus den Kaiserlichen Gemächten, äh... Gemächern! ... wünschen Wir euch allen einen wunderschönen Advent, in welchem mindestens ein Lichtlein brennt, vielleicht sogar die eine oder andere Leuchte, sei es nun ein Arm- oder Kronleuchter, oder eine letzte Laterne:
Hauptsache, man brennt noch für das Gute. Oder spürt wenigstens den Kaiserlichen Funken, der einen anzündet und trotzdem liebevolle, weise lächelnde Wärme schenkt in den Strudeln der Gezeiten.
Heute funkts Uns ja wieder mal so richtig und Wir denken, Wir haben all den Irrsinn lediglich zu Unserem heimlichen Amusement erschaffen.
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